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Gekommen, um zu bleiben

Für NFT-Kunst werden Millionenbeträge bezahlt. Der Hype um die Technologie und die schwache Qualität vieler Werke verstellen den Blick auf deren Potenziale, aber auch ihre Schwächen.

Von Nina Schedlmayer

Wenn Kunst über die Grenzen der Feuilletons hinaus mediale Aufmerksamkeit erregt, dann gibt es zumeist nur wenige Gründe dafür. Zum Beispiel eine Rekordmeldung – etwa wenn das Auktionshaus Christie’s einen „Rabbit“ von Jeff Koons für 91 Millionen Dollar oder Mitbewerber Sotheby’s einen Akt Amedeo Modiglianis für 157 Millionen Dollar absetzt. Dabei kommen derartige Rekordsummen meist nicht ganz unerwartet und die Namen der Künstler – viel, viel seltener: Künstlerinnen – sind einem breiten Publikum bekannt.

Völlig anders verhielt es sich mit dem Rekord, den Christie’s am 11. März 2021 vermeldete. Ein weitgehend unbekannter Künstler mit dem Pseudonym Beeple hatte online über das traditionsreiche Auktionshaus ein Werk mit dem Titel „Everydays: The First 5000 Days“ versteigert. Erst bei 69 Millionen Dollar fiel der virtuelle Hammer. Und: Die Arbeit, eine digitale Collage aus 5.000 Bildchen, war mit einem NFT, einem Non-Fungible Token, verknüpft.

Die Kunstwelt war in Aufruhr. Wer war dieser Beeple? Ist das überhaupt Kunst, was er macht? Wer kauft so etwas? Und was hat es mit diesen komischen NFTs auf sich? So geriet eine Technologie an die breite Öffentlichkeit, mit der sich zuvor hauptsächlich Technikaficionados befasst hatten. Bald wurden weitere Sensationsmeldungen publik, zuletzt jene von einem Künstler mit dem Pseudonym Pak, der ein Kunstwerk, aufgeteilt in 266.445 Partikel, für 92 Millionen Dollar an insgesamt 28.000 Personen verkauft hatte. Allerdings nicht über ein Auktionshaus, sondern über eine Plattform: Nifty Gateway. Ist NFT-Kunst die neue Goldgrube? Oder doch bloß die hyperkapitalistische Spinnerei einiger weniger Silicon-Valley-Milliardäre?

Das Phänomen ist nicht ganz einfach zu fassen. Denn schon um den technologischen Vorgang nur ansatzweise zu verstehen, braucht es ein wenig Ausdauer. NFTs sind Einträge in einer Blockchain, Zertifikate, die bestimmte Objekte, wie beispielsweise digitale Kunstwerke, einem/r Eigentümer* in zuweisen. Kauft man ein solches, erhält man einen Code, ein Krypto-Wallet, wo dieser gespeichert ist, sowie den Link zu einer Datei, beispielsweise einem JPG des Werkes. Das Objekt selbst ist also kein NFT, sondern bloß damit fix verknüpft – eben „non-fungible“, „nicht austauschbar“.

Im Bereich der Kunst handelt es sich zumeist um digitale Kunst: Bilder oder Animationen. „NFTs sind nichts anderes als eine neue Buchhaltungstechnologie“, schreibt der Kunstkritiker und Kurator Kolja Reichert. Gehandelt werden NFTs zumeist über Plattformen wie OpenSea oder Nifty Gateway.

Christopher Lindinger, Vizerektor der JKU und Informatiker, forschte über Blockchains und zählte zum Gründungsteam des Ars Electronica Futurelabs. Er beobachtet die aktuell e Debatte differenziert. „Momentan herrscht ein Hype um das Thema. Das muss man sehr intensiv reflektieren, um aus dieser Phase gut herauszukommen.“ Der Diskurs wird gerade geführt, ziemlich hitzig freilich. Ist es so, wie die Künstlerin Hito Steyerl sagt, dass mit den NFTs eine „Blase für Doofe“ entstehe? Oder hat die Zeitschrift „ArtReview“ recht, deren Liste der Top-Kunst- Influencer NFTs anführt?

Lange vernachlässigt

Fest steht, dass viele der sehr teuren Werke aus der NFT-Serie für die Kunstwelt völlig uninteressant sind, so auch Beeples „Everydays“, eine krude Mischung aus platten Trump-Karikaturen, sexistischen Schmähs und apokalyptischen Fantasy-Welten. Und doch knüpfen sich einige Hoffnungen an die neue Technologie.

Der Kunsthistoriker Alfred Weidinger leitet die OÖ Landes-Kultur GmbH, zu der das Linzer Schlossmuseum und das Francisco Carolin um gehören. Dort zeigte er 2021 die Ausstellung „Proof of Art. Eine kurze Geschichte der NFTs“. Mittlerweil e verfügt das Haus über eine kleine, feine Sammlung an NFT-Kunst. Die neue Aufmerksamkeit auf Digitalkunst beobachtet Weidinger freudig. Er prophezeit: „Die Museen werden sich viel mehr mit Generationen von Künstlerinnen und Künstlern befassen, die jahrzehntelang zu Unrecht vernachlässigt wurden.“ Tatsächlich gerieten Namen einstiger Digitalpionier*innen wie Vera Molnár oder Herbert W. Franke weitgehend in Vergessenheit. Nun könnten sie Prominenz erlangen. Laut Weidinger geschieht das bereits. So habe ihm der fast 95-jährige Franke von einem neuen Interesse an seiner Arbeit berichtet. Auch die Kuratorin Marlies Wirth, die Digitalkunst- Spezialistin im Museum für angewandt e Kunst Wien, sagt: „Durch die NFTs wird generell vermehrtes Interesse an zeitgenössischer digitaler Kunst generiert, das wurde aber 2022 auch höchst e Zeit. Spannend ist, was jenseits des momentanen Hypes mit der zugrundeliegenden Technologie möglich wird.“

Öffnung eines geschlossenen Systems

Christopher Lindinger weist darauf hin, dass Kunstschaff ende mit der NFT-Technologie nicht mehr von den klassischen Gatekeepern abhängig sind: Sie können ihre Digitalwerk e selbst online verkaufen. Birgt die NFT-Technologie demokratisches Potenzial? Lindinger: „Der klassische Kunstmarkt ist ein geschlossenes System. Für NFTs braucht ein Künstler keine Galerie und kann sich daher leichter positionieren. Da werden auch andere Zielgruppen angesprochen.“ Ein weiterer Aspekt: „Das Potenzial liegt auch darin, dass eine faire monetäre Vergütung der Künstlerinnen und Künstler möglich wäre. Im traditionellen Kunstmarkt werden Wertsteigerungen oft erst beim Weiterverkauf der Werke erzielt. Die Künstlerin oder der Künstler bekommt jedoch nach dem Erstverkauf meist nichts mehr. Bei einem NFT könnte man durch wenige Zeilen Code festlegen, dass zum Beispiel zehn Prozent der Kaufsumme bei jedem Wiederverkauf an den Künstler, die Künstlerin – also an die Ursprungsadresse des Werkes – überwiesen werden.“

Ein weiteres Potenzial, so wird häufig betont, liege in der Transparenz der Eigentumsverhältnisse. Tatsächlich lässt sich im Eintrag in der Blockchain ablesen, wer wann was besaß und wie viel er oder sie dafür bezahlt hat. Marlies Wirth sieht darin auch einen Nutzen für Museen: „Im Kulturbetrieb kann die Blockchain-Technologie als Werkzeug genutzt werden, etwa für den Leihverkehr. Dieser lässt sich in der Blockchain transparent abbilden.“ Doch wie transparent ist das NFT mit seinen Codes wirklich? Wer auf einer Plattform wie OpenSea etwas verkauft, kann einen Nickname für seine Identität wählen. Der Klarname muss nicht zwingend einsichtig sein, ebenso wenig der Kontakt – so kommt es zu der absurden Situation, dass Bildredaktionen auf der Suche nach Abbildungen für einen Artikel über NFTs oft gegen Wände rennen. Zudem öffnet die Anonymität Manipulation Tür und Tor. Lindinger gibt ein Beispiel: „Ich kann als Künstler ein Werk auf die Plattform stellen. Dann erstelle ich zwei Konten und steigere damit den Preis hinauf. Auf der Plattform steht am Ende beispielsweise, dass 20.000 Euro für das Werk bezahlt wurden. Was natürlich nie real stattgefunden hat, denn ich habe es mir ja selbst verkauft. Wenn ich das nächste Werk auf die Plattform stelle, dann schlagen die Leute möglicherweise sofort zu – einfach, weil sie Angst haben, etwas zu verpassen.“

Philipp Homar, Inhaber des Lehrstuhls für Intellectual Property am Institut für Unternehmensrecht an der JKU, verweist auf rechtliche Unklarheiten. „Sie kaufen auf einer Plattform ein NFT und sind in der Blockchain als neuer Eigentümer eingetragen“, sagt er. „Mehr ergibt sich aus dem Verkauf nicht.“ Es sei durchaus möglich, dass der Vertragspartner, also dessen Klarname und physische Adresse, unbekannt ist; ebenso, dass bei der Übergabe des Werkes etwas nicht klappt, beispielsweise, weil ein Server stillgelegt wurde. Dazu kommt, dass auch nicht eindeutig geregelt ist, welche genauen urheberrechtlichen Nutzungsrechte mit dem Kauf tatsächlich erworben werden – was vor allem Institutionen, die das Kunstwerk öffentlich nutzen möchten, vor ein Problem stellen würde, so der JKUler. Die Folg e: „Wenn Sie nicht wissen, wer der Vertragspartner ist und wo Sie Ihr Recht einklagen können, kann das ein Problem werden.“

Genau das, was man NFTs als Vorteil zuschreibt – die Transparenz –, kann sich bei genauerer Betrachtung also ins Gegenteil verkehren. Ähnlich verhält es sich mit dem prozentualen Anteil, den Kunstschaff ende beim Weiterverkauf mitverdienen. Denn auch dieser ist keineswegs zu hundert Prozent fixiert. Bei physischen Kunstwerken ist das Folgerecht festgeschrieben: Urheber*innen erhalten beim Weiterverkauf einen bestimmten Anteil des Preises, maximal vier Prozent. Im Fall der NFTs können derartige Prozentsätze zwar im Smart Contract, der ebenfalls in der Blockchain verankert ist, festgelegt werden. Das muss aber nicht der Fall sein. Erste Erfahrungen zeigen, dass bei einem Weiterverkauf die ursprünglich festgelegte Regelung der finanziellen Beteiligung des Urhebers umgangen werden kann, wie Homar sagt.

Für die Rechtsprechung gibt es also noch einiges zu klären. Denn dass die NFT-Technologie so bald wieder verschwindet, ist nicht anzunehmen. Hype hin oder her.